Serie Atemtechniken
Besser als Kaffee oder Baldrian: die Wechselatmung
Was ist das Besondere an Wechselatmung und wie funktioniert sie?
Diese Atemtechnik gehört zu meinen persönlichen Favoriten. Sie ist einfach und elegant, jederzeit anwendbar und wirkt instantan. Man muss sich weder mit Meditation noch mit Yoga auseinandergesetzt haben, um sie korrekt durchführen zu können, und wer viel Erfahrung mit Atemtechniken hat, kann sie stetig erweitern und komplexer gestalten ( eine Anleitung dazu habe ich zuvor in einer Übung beschrieben ).
Das Grundkonzept der Wechselatmung ist der Atem durch ein Nasenloch, während das andere verschlossen wird. Versuch es kurz: halte dir das linke Nasenloch zu und atme tief durch das rechte ein. Verschliesse kurz beide Nasenlöcher und halte den Atem, dann öffne das rechte und atme durch die Nase aus. Lass es geöffnet und atme wieder ein, verschliesse die Nase, und atme dann durch das linke Nasenloch wieder aus [1]. Führe dies nur zwei oder drei Minuten aus und du wirst feststellen, wie du dich ruhiger und im Moment angekommen fühlst.
Magie der Wechselatmung
Den Hintergrund zu dieser einfachen Atemtechnik zu recherchieren hat mir besonders viel Spass gemacht, denn ich nutze sie seit Jahren in Momenten von Unruhe, Schlafstörungen und Panik (hallo Prüfungsangst!). Erst im Yogalehrer-Training habe ich gemerkt, wie viel Philosophie dahintersteckt, weshalb ich die indischen und westlichen Ideen dahinter unbedingt zu Papier bringen musste.
Bevor ich jedoch tiefer in dieses Thema einsteige, muss ich euch warnen: die indischen Prinzipien sind weit entfernt von der westlichen Schulmedizin, an die wir uns ein Leben lang gewöhnt haben. Der Yogi in mir ist immer wieder fasziniert und verwundert über die asiatischen Konzepte von Energie und Elementen, die wir aus der chinesischen und indischen Literatur kennen. Gleichzeitig rollt meine wissenschaftliche Seite mit den Augen und fragt sich, wie viel davon ich wohl ernst nehmen sollte. Daher geben die nächsten Absätze beiden Seiten ein wenig Raum, sodass ihr für euch selbst entscheiden könnt, wie du dir selbst ein Bild machen kannst.
Wechselatmung gibt es in zwei Varianten: Nadi Shodhana („Reinigung der Energiekanäle“) ist die Reinigungsatmung mit Atempausen, während Anuloma Viloma („auf dem Weg die Richtung wechseln“) ohne Atempausen ausgeübt wird. Sie wurde zuerst in der ca. 500 Jahre alten indischen Schrift Hatha Yoga Pradipika beschrieben, wo sie mit der Feueratmung (Kapalabathi) den Anfang jeder Yogastunde bildet [2].
Das Grundkonzept ist die Idee der frei fliessenden Lebensenergie (Prana), die sich auf Energiebahnen (Nadis) in unserem Körper verteilt. Es gibt über 70‘000 Energiebahnen in unserem Körper, die wir meist nur bemerken, wenn sie blockiert sind und so körperliche oder emotionale Beschwerden verursachen.
Im indischen Verständnis der Körperenergie gibt es neben den vielen kleinen Energiebahnen zwei besonders wichtige rechts und links der Wirbelsäule, die Ida und Pingala genannt werden. Sie winden sich in entgegengesetzter Richtung um unsere Wirbelsäule und sollten stets in Balance sein, damit es uns gut geht. Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass zwischen ihnen, entlang der Wirbelsäule, ausserdem die zentrale Energiebahn Shushuma liegt. Vielleicht hast du ja schonmal von den sieben zentralen Energiezentren (Chakras) gehört. Sie liegen dort, wo alle drei grossen Energiebahnen aufeinandertreffen. Durch die Bewegung im Yoga öffnen wir diese Energiezentren, durch Feuer- und Wechselatmung reinigen wir die zentralen Energiebahnen, wodurch die Lebensenergie sich frei durch uns bewegen kann (Pranayama). Das Konzept ist übrigens vergleichbar mit den Grundlagen von Akkupunktur, die ebenfalls auf den freien Fluss unserer Energie abzielt. Ein ausgeglichener Energiefluss kann nicht nur Beschwerden vorbeugen, sondern auch Kreativität und Ausgeglichenheit begünstigen.
Es geht auch ohne Wechsel
Wer dringend Energie für den Tag oder Ruhe für den Abend sucht, kann auch nur durch ein Nasenloch atmen, ohne dabei abzuwechseln. Dabei nutzt man die Konzentration seiner Energie auf eine der zwei zentralen Energiebahnen. Ida steht für Kühle und Balance, Pingala für Wärme und Aktivität. Wer also auf Koffein am Morgen verzichten möchte, kann sich das linke Nasenloch zuhalten und nur durch das rechte atmen, wodurch man seinen Tag mit Pingala-Energie aktiviert. Wer dagegen abends Abkühlung und Ruhe sucht, hält lieber das rechte Nasenloch zu und atmet nur beruhigende Ida-Energie ein.
Die medizinische Sichtweise
Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass das Atmen durch die Nase einen direkten Effekt auf die Aktivität unseres Gehirns hat [3]. Spezielle Atemtechniken werden in der Wissenschaft oft im Hinblick auf Krankheiten wie Asthma untersucht, jedoch stehen dabei eher selten Atemtechniken aus Fernost im Fokus und stattdessen Geräte zur künstlichen Atemhilfe. Indische Forscher haben zahlreiche Studien zur Wirkungsweise der Wechselatmung erstellt [z.B. 4, 5, 6, 7]. Es macht mich jedoch nachdenklich, dass an diesen Studien keine Forscher von Instituten ausserhalb Indiens beteiligt waren, die vielleicht einen etwas neutraleren Blickwinkel hätten.
Auf der Suche nach Artikeln in internationalen Forschungszeitungen kam ich leider nicht weit. Einziger Anhaltspunkt sind die (nur online veröffentlichten) Studien des skandinavischen Retreat Centers Haa durch, die zwar nicht von anderen Wissenschaftlern geprüft wurden („Peer Review Prozess“), aber Anhaltspunkte für eine positive Wirkung bieten. Der Psychologe Erik Hofmann schloss für seine Studie 12 Probanden beim Atmen mit Wechselatmung an ein EEG an und beobachtete dabei die Aktivität im Gehirn. Es zeigte sich, dass die Mehrzahl der Probanden durch die Übung eine ausgeglichene Aktivität zwischen rechter und linker Hirnhälfte erzielen konnten. Ausserdem veränderte sich die Aktivität der Hirnwellen in einer Weise, die von den Forschern als zugleich aktiv und ruhiger interpretiert wurde [8].
In einer anderen Studie des gleichen Autors wurde gezeigt, dass während der Wechselatmung die Sauerstoffsättigung im Blut absinkt und nach Abschluss wieder ansteigt [9]. Anders ausgedrückt hat sie die gleiche Wirkung wie das Atmen in eine Tüte, wenn man hyperventiliert (sieht aber wesentlich eleganter aus).
In Skandinavien wie Indien kommen alle Studien zu dem Schluss, dass die meisten Probanden durch Wechselatmung ruhiger und konzentrierter wurden. Ihr Puls wurde langsamer, ihre Hirnaktivität ruhiger und ausgeglichen zwischen den zwei Hirnhälften.
Wechselatmung: Esoterik trifft Wirklichkeit
Wie so oft im Yoga kann man nicht jede Wirkungsweise medizinisch erklären. Die Studien zu diesem Thema werfen aufgrund ihrer Methodik und Publikation einige Fragen auf. Zusammenfassend scheint sich die Wechselatmung stark ausgleichend auf unser Gehirn auszuwirken, was auch den Erfahrungen vieler Yogis entspricht. Energiebahnen ja oder nein, die Erfahrung zeigt, dass Wechselatmung eine wunderbar einfache Methode ist, um den Puls zu senken, das Gedankenkarussell zu stoppen und sich in dem Moment zu erden.
Quellen und Verweise
[1] Wechselatmung auf YouTube mit Tasty Katy
[2] Swami Svaratmarama: Hatha Yoga Pradipika, Phänomen-Verlag, 2011
oder zusammengefasst bei Yoga Vidya
[3] Zelano, Christina, et al. Nasal respiration entrains human limbic oscillations and modulates cognitive function. Journal of Neuroscience 36.49 (2016): 12448-12467.
[4] Dhanvijay, Anupkumar Dadarao, et al. Effects of alternate nostril breathing on cardiorespiratory variable in healthy young adults. Int J Pharmacy Biol Sci 6.2 (2015): 1352-60.
[5] Garg, Sandeep, and Sukhdev Chandla. Effect of nadi shodhan pran-ayama on pulmonary functions. Int J Health Sci Res 6.4 (2016): 192-6.
[6] Vaksh, Shreyasi, and Mukesh Pandey. Nadi Shodhana Pranayama And Its Impact On Parameters Of Cardiovascular, Pulmonary, And Brain Functions. International Journal of Medical and Biomedical Studies 3.7 (2019).
[7] Gandhi, Tapan, et al. Enhancement of inter-hemispheric brain waves synchronisation after Pranayama practice. International Journal of Biomedical Engineering and Technology 7.1 (2011): 1-17.
[8] Dr. Erik Hoffmann, Haa International Retreat Center
[9] Per Lange, Haa International Retreat Center