Serie Atemtechniken
Ujjayi, der rauschende Atem
Wie schaffen es Yogalehrer:innen, so laut zu atmen, dass man sie auch am anderen Ende des Studios noch hören kann? Ihr lauter Atem ist ein spezielles Markenzeichen, das es anderen Yogis erlaubt, im Takt der Bewegung mitzuatmen, was zu der wunderbar magischen Atmosphäre von Gruppenyoga führt. Dieses laute, rauschende Atmen heisst Ujjayi (augesprochen „Udschaa-yie“), auch genannt Meeresrauschen oder Kehlatmung.
Ujjayi macht den Unterschied zwischen Yoga als Sport und Yoga als Philosophie. Als Sportart bringt Yoga mehr Kraft und Flexibilität für den ganzen Körper. Die Philosophie bringt eine emotionale, mentale Komponente ein. Sie ist das besondere Gefühl, das einen auch nach der Yogastunde den ganzen Tag begleitet, den Geist öffnet und die Gedanken frei macht. Dieser Effekt basiert auf der Verbindung von Bewegung und tiefem Atem.
Versucht man, normal tief zu atmen während man intensiv Yoga ausübt, kommt man schnell aus dem Rhythmus. Die Kehlatmung ermöglicht es, mehr Kontrolle über das Ein- und Ausatmen zu erlangen, wärmt den Körper und hilft uns, einen gleichmässigen Takt der Bewegung zu halten.
Für Yogis ist Ujjayi ein Allheilmittel
Für traditionelle Yogis ist die Kehlatmung die universelle Antwort auf alle Probleme. Im Yogalehrertraining gab es kein Problem, das nicht zuerst mit Ujjayi behandelt werden sollte. Du hast Kopfschmerzen? Ujjayi. Du hast Bauchschmerzen? Ujjayi. Du hast Ängste? Ujjayi. Dir ist kalt? Ujjayi. Der Grund dafür geht auf das alte Konzept der Energiezentren (Chakras) im Körper zurück. Kehlatmung berührt die fünf wichtigsten Energiezentren von der Kehle abwärts und reinigt somit die Energiebahnen, deren Verstopfung vermutlich das Problem hervorgerufen haben. Somit entstand wohl auch der Name in Sanskrit, den man frei mit „siegreicher Atem“ übersetzen kann [1].
Du kannst mit Energiezentren nicht so viel anfangen? Macht nichts, Ujjayi ist die Übung trotzdem wert. Beim Yoga hilft dir die Atemtechnik, vollkommen achtsam zu sein und den Fokus auf den Moment zu legen. Es reicht ein Sonnengruss mit Kehlatmung und die Welt reduziert sich auf den kleinen Raum zwischen dir und deiner Matte. Alle Fragen die im Kopf übrig bleiben beziehen sich auf das Ein- und Ausatmen, die Positionierung der Hände und Füsse. Diese Distanzierung von der Aussenwelt bringt dich zurück zum ursprünglichen (und wörtlichen) Sinn des Yoga: das Göttliche in sich selbst finden [2].
Praktische Vorteile im Alltag
Es gibt viele physiologische Vorteile dieser Atemtechnik, aber als Mutter möchte ich zuerst mal den Gewinn für alle Eltern herausstreichen: Das langsame Rauschen der Kehlatmung kann ein Baby zum Einschlafen bringen! Leider wird es in keinem Geburtsvorbereitungskurs unterrichtet und damit ein echter Geheimtipp für werdende Eltern.
Körperlich betrachtet wirkt sich diese Atmung besonders auf den Kehlbereich aus. Durch das kraftvolle Durchatmen wird dieser entschleimt und die Verengung der Luftröhre bewirkt eine Verlangsamung der Atmung, das heisst man kann kontrollierter atmen [3]. Hier liegt der entscheidende Unterschied zum „normalen“ Atmen während der Yogaübungen, denn es ist wesentlich schwieriger, über einen langen Zeitraum im (langsamen!) Einklang mit der Bewegung normal zu atmen, als bei gleichzeitiger Anwendung von Ujjayi.
So geht’s
Hier ist die poetische Betriebsanleitung von Swami Svaratmarama: „Den Mund schliessend ziehe man langsam den Atem durch die beiden Nadi [Nasenlöcher] ein, sodass er hörbar zwischen Hals und Herzen stecken bleibe“ [4].
Falls du damit nicht erfolgreich bist, hier nochmal ein anderer Ansatz. Als erste Übung kannst du die Hände vor dem Mund zu einer Schale formen, tief einatmen und beim Ausatmen ein langgezogenes „Haaaaaaaa“ hauchen. Du solltest den Luftstrom an den Händen spüren und wirst am Ende des „aaaa“ merken, wie die tief liegende Kehle beansprucht wird. Als nächsten Schritt atme mehrmals kraftvoll durch die Nase aus und versuche dieses Ausatmen jedes Mal ein bisschen zu verlängern. Es sollte sich anfühlen, als würde die Luftröhre etwas verengt werden und wieder solltest du die Beanspruchung der Kehle wahrnehmen. Wenn der Luftstrom sehr gut hörbar ist, bist du auf dem richtigen Weg.