Serie Atemtechniken
Kühlende Atemtechniken für hitzige Gemüter
Sitali: der coole Alleskönner
Während meiner Zeit in Nordindien konnte ich die Hitze kaum ertragen. Besonders nachts war es schwer zu schlafen, wenn die Temperaturen immer noch weit über 30°C lagen. Ich hatte keine Klima-Anlage, aber Tücher und grosse Fenster, die den gleichen Job erledigen konnten. So stand nachts ein Eimer mit kaltem Wasser in meinem Zimmer, in dem ich die Tücher befeuchtete und dann vor die Fenster hing. Sobald Wind hindurchfegte, kühlte er an den nassen Tüchern ab und schon hatte ich eine DIY Klima-Anlage.
Der Sitali-Atem funktioniert auf ähnliche Weise. Hier übernimmt die Zunge die Aufgabe der feuchten Tücher und kühlt die Luft auf dem Weg in unseren Körper. Dafür rollt man die Zunge und zieht die Luft hindurch.
Was bringt’s?
Sitali soll nicht nur kühlen, sondern übernimmt laut Tradition auch eine Reihe anderer Funktionen. Die Atemtechnik soll Hunger und Durst stillen, Geist und Körper wecken, Bluthochdruck und Fieber vermindern [1]. Zugegeben, in meiner Erfahrung waren die Effekte von letzteren eher begrenzt zu spüren, aber vielleicht habe ich auch einfach nicht genug Wiederholungen durchgehalten.
Zusätzlich haben beide kühlende Atemtechniken auch einen kühlenden Effekt für das Gemüt, und sollen dich in hitzigen Momenten von Wut und Aufgewühltheit wieder auf den Boden bringen. Manch ein Yogi wendet die Techniken gerne vor dem Schlafengehen an, um jedwede Hitzigkeit nicht mit ins Bett zu nehmen.
So geht‘s
Setz dich aufrecht auf den Boden oder einen Stuhl. Schliess die Augen und atme einige Male durch die Nase in den Bauch. Forme dann ein O mit dem Mund, roll die Zunge und schiebe die gerollte Zungenspitze leicht über die Lippen hinaus (wenn du die Zunge nicht rollen kannst, kannst du sie auch einfach leicht herausstrecken). Ziehe dann Luft über die Zunge in deine Lungen. Fokussier dich auf die kühlende Wirkung und halte kurz die Luft an, bevor du den Mund schliesst und durch die Nase wieder ausatmest.
Wiederhole die Übung fünf Mal, atme dann für zwei Minuten normal in den Bauch und wiederhole die Übung. Ich finde es schwierig, Sitali über längere Zeit zu üben, aber idealerweise sollte man es für 10 Minuten durchgehend durchführen (Übung macht den Meister!).
Sitkari: die kühlende Alternative
Im Vergleich zu Sitari ist die kleine Schwester Sitkari eine Seltenheit in Yoga-Kursen, obwohl sie optisch ein echter Hingucker ist! Es gibt verschiedene Versionen dieser Technik, wobei die ursprüngliche Beschreibung [1] eher simpel ist und heute stark variiert wird.
Was bringt’s?
Laut Swami Svaratmarama in seinem Werk Hatha Yoga Pradipika [1] (Kapitel II) ist Sitkari ebenfalls ein kühlender Atem, der seinen Effekt auf der Feuchtigkeit in deinem Mund aufbaut. Er hat zusätzlich eine sanft vitalisierende, aufweckende Wirkung, stillt Hunger und Durst [1]. Ausserdem soll es eine ausgleichende Wirkung auf deinen Hormonhaushalt haben, was Frauen zum Beispiel in der Menopause oder während der Periode helfen könnte.
Als persönlichen Kommentar muss ich auch hier anmerken, dass ich davon wenig mitbekommen habe, allerdings ist Sitkari ein starkes Training für die Gesichts-Muskeln und ich war möglicherweise zu schwach um lang genug durchzuhalten.
So geht’s
Setze dich aufrecht auf einen Stuhl oder den Boden. Atme wieder einige Male langsam durch die Nase in den Bauch.
Lege dann die Zähne von Ober- und Unterkiefer sanft aufeinander und öffne die Lippen soweit du kannst, sodass sie möglichst wenig von deinen Zähnen bedecken. Tippe mit der Zunge gegen den Gaumen, sodass sie leicht nach hinten gerollt ist. Ziehe langsam Luft durch die Zähne ein, halte den Atem kurz an, schliesse die Augen und atme dann durch die Nase wieder aus.
Wiederhole den Sitkari-Atem zwei Mal, atme dann eine Minute durch die Nase in den Bauch, und wiederhol die Übung. Versuche dich langsam zu steigern, bis du diesen Atem 10 Minuten lang durchführen kannst.
Ein paar abschliessende Hinweise
Beide Atemtechniken wurden für heisse Tage erfunden und sollten nicht mit kalter Luft durchgeführt werden, da das die Lungen reizt. Sie sind eng mit traditioneller Ayurvedischer Medizin verbunden und werden dort für die Balance eines unausgeglichenen Pitta Doshas angewandt.
Ich habe beide Techniken schwanger und nicht schwanger ausprobiert, und fand schon wenige Wiederholungen als Schwangere äusserst unangenehm, besonders bei Sitkari ist mir schnell schwindlig geworden. Zu schade, denn man durchläuft so manche Hitzewallung im letzten Trimester.
Quellen und Verweise
[1] Swami Svaratmarama: Hatha Yoga Pradipika, Phänomen-Verlag, 2011