Wie dir Yoga bei Schlafstörungen helfen kann
Neurologentraum
Lange hielt man Schlaf für einen völlig passiven Zustand. Im antiken Griechenland war Schlaf ein Geschenk des Gottes Hypnos, der am Fluss des Vergessens lebte und Kräuter mit einschläfernder Wirkung wachsen liess. Im Mittelalter dachte man, im Schlaf würde die Seele ihre Energie erneuern, was dem heutigen Stand der Forschung sogar nahekommt [1].
Entgegen früherer Annahmen sind wir im Schlaf hochaktiv. Mit EEGs konnte die Hirnaktivität gemessen und erste Schlaflabore gebaut werden. So werden bis heute Untersuchungen am schlafenden Menschen (und Tier) durchgeführt, um die Phasen und Störfaktoren besser zu verstehen [2].
Unser Gehirn braucht den nächtlichen Neustart, um an seinen Neuronen und Verbindungen zu arbeiten. Im Durchschnitt brauchen wir sieben bis neun Stunden pro Nacht, die Mehrheit der Bevölkerung liegt mit ihrem Pensum jedoch darunter [3]. Dadurch werden die verschiedenen Stadien von Dämmer- bis Tiefschlaf nicht richtig durchlaufen, was kurzfristig quälend ist und langfristig zu ernsthaften Krankheiten führen kann [4]. Ein Grund mehr, sich den Schlaf mal genauer anzusehen.
Aktiv durchschlafen
Die Schlafstadien werden aufgrund von EEG-Mustern festgelegt [2]. Beim Tiefschlaf („Non-REM“) wird zwischen vier Phasen unterschieden. Stadium 1 ist der Übergang aus dem Wachzustand, wobei sich die Augen noch bewegen. In Stadium 2 findet das Einschlafen unter Stillstand der Augenbewegung statt, danach folgt Tiefschlaf in Stadium 3 und 4.
Im Kontrast dazu ist unser Gehirn im Dämmer- oder REM-Schlaf hochaktiv, fast als wären wir wach. Innerlich erlebt der Schlafende nun wilde Träume, äusserlich zeigt er schnelle Augenbewegungen, Muskelzuckungen, höhere Herz- und Atemfrequenzen. REM-Schlaf ist besonders wichtig, da sich dann neue Nervenzellen bilden und dadurch die Leistung des Gedächtnisses erhöhen [2, 5].
Volkskrankheit Schlaflosigkeit?
Hier kommt die schlechte Nachricht für frischgebackene Eltern und überarbeitete Kollegen: wer nachts oft geweckt wird oder zu unruhig ist um zu schlafen, stört seine Schlafstadien, was ernsthafte Konsequenzen haben kann. Viele Menschen beschreiben ein Aufwachsen mitten in der Nacht (oft zwischen 3 und 4 Uhr), wenn sie den Übergang zwischen Tief- und Dämmerschlaf durchlaufen sollten, aber auf einmal hellwach im Bett liegen [6]. Kommt dies über mehrere Wochen vor, kann es zu Konzentrationsdefiziten, Aggressionen, Gedächtnislücken, Übergewicht, Zellschädigung und bei dauerhaftem kompletten Schlafentzug sogar zum Tod kommen [7, 8].
Mit Schlafstörungen steht man nicht allein da. Wie eine Umfrage im Mai 2018 herausfand, leiden etwa 8% aller Deutschen täglich unter Schlafstörungen, 35% fühlen sich morgens nicht ausgeruht und empfinden dadurch am Tag starke Erschöpfung (Fatigue). Trotzdem geht die Mehrheit der Betroffenen deswegen nicht zum Arzt, dabei gibt es zwischen Psyche und Stoffwechsel eine Vielzahl an möglichen Gründen [9, 10].
Einschlafen ist mehr als Hinlegen
Schlafprobleme können durch neurologische oder andere körperliche Krankheiten bedingt sein, am häufigsten ist jedoch eine ungenügende Schlafhygiene, was die Optimierung der Gewohnheiten und Umgebung vor dem Schlafengehen beschreibt [2]. Wer sich damit beschäftigen will, wird dabei von Apps sowie zahlreichen Tipps und Tricks aus dem Internet unterstützt. Dabei spielen Reizreduzierung, Ritualisierung und das schrittweise Herunterfahren der Aktivitäten eine entscheidende Rolle [11]. Oftmals werden verschiedene Atem- und Entspannungstechniken beschrieben, die erfahrenen Yogis bekannt vorkommen könnten. Wer abends nicht abschalten kann, kann sich mit kleinen Yogasequenzen wie dem Mondgruss behelfen [12], oder sich ein paar Minuten für Bauchatmung oder für Wechselatmung nehmen, um das Gedankenkarussell zu stoppen.
Was kann Yoga für dich tun?
Yoga und Meditation können einen entscheidenden Beitrag zur Schlafhygiene leisten, denn sie unterstützen das Herunterfahren der Aktivität von Geist und Körper. Dadurch kann die Ausschüttung von Botenstoffen im Körper beeinflusst werden, zum Beispiel des Hormons Cortisol, welches bei Stress entsteht und zusammen mit erhöhter Hirnaktivität häufig für Schlafstörungen verantwortlich ist [4, 6]. (Das Zusammenspiel von Hormonen wie Cortisol mit Stress habe ich in einem anderen Artikel genauer beschrieben.)
Der yogische Schlaf: Yoga Nidra
Der yogische Schlaf wird als Yoga Nidra bezeichnet, eine gezielte Tiefenentspannung von 15 bis 45 Minuten, welche das Äquivalent zu 4 Stunden Schlaf darstellen. Der Name beschreibt den Zustand zwischen Meditation und Schlaf (Nidra). Das Ziel ist der Zugang zu tieferen Bewusstseinsebenen, was durch eine systematische Entspannung und vollkommene Balance von Gedanken, Körper und Emotionen erreicht wird. Dabei liegt man auf dem Rücken in der Totenhaltung (Savasana) und folgt einer systematischen Anleitung zur Tiefenentspannung.
Yoga Nidra wird zunehmend in vielen Yogastudios angeboten, denn es ist eine passende Ergänzung zu einer Welt, in der immer mehr Menschen von Schlafstörungen und Erschöpfung berichten [3, 9]. Es steht oft mittags auf dem Stundenplan, damit man den Energiespeicher für den Nachmittag wieder auffüllen kann und bei voller Leistung in den restlichen Tag startet.
Den Schlaf zurückerobern
Zum Einschlafen eignen sich diese Übungen eher nicht, denn man kommt mit vollen Batterien nach Hause und wird dann erst recht nicht ins Bett gehen. Dafür kann man Elemente der Tiefenentspannung aus dem Yoga Nidra aufgreifen, ganz besonders das bewusste Anspannen und systematische Entspannen der Muskulatur. Eine Anleitung zum Einschlafen durch Yoga Nidra findest du in einem separaten Artikel.
Ich habe Yoga Nidra in besonders stressigen Zeiten angewandt, wenn ich nachts oft aufgewacht bin und dadurch am Tag nicht die Leistung abfragen konnte, die ich für meine Arbeit brauchte. Nach einem Workshop zu Yoga Nidra mit Adrian Wirth in Zürich [13] konnte ich kurze Sequenzen auch zuhause durchführen. Endlich gab es ein Gegenmittel zur nächtlichen Frustration und täglichen Erschöpfung, denn die ärztlichen Regeln der Schlafhygiene konnten mir damit nur begrenzt helfen. Aus eigener Erfahrung kann ich daher jedem empfehlen, den yogischen Schlaf einmal auszuprobieren.
Quellen und Verweise
[1] Spektrum: Lernen im Schlaf? Na klar! (07.06.2019)
[2] Studie der deutschen Techniker Krankenkasse, November 2017
[3] Erklärung zu Schlafstörungen von Prof. Dieter Riemann auf dasgehirn.info
[4] Spektrum: Neu gebildete Neurone werden im REM-Schlaf aktiv (05.05.2020)
[8] Umfrage der Initiative Deutschland schläft gesund, Mai 2018
[9] Die Zeit: Warum bin ich so müde? (05.01.2020)
[10] Merkblatt Gesunder Schlaf (Schlafhygiene) der Organisation Lunge Zürich